Es gibt Texte, die mich wütend machen – der SPIEGEL schafft das gerade im neusten Heft und online : Unter dem Titel „Frauen können alles haben – Sie sollten nur viel früher Kinder bekommen“ beschreibt Claudia Voigt Entwicklungen und Debatten rund um die Emanzipation und die Frage des Zeitpunkts für Kinder in modernen Lebensläufen in den letzten Jahrzehnten.
Viele der Beobachtungen sind richtig, viele der Thesen teile ich sogar – die Schlussfolgerungen aber sind desaströs: Denn an Stelle darüber zu reden, wie gesellschaftliche Strukturen, Atmosphäre und Debatten geändert und verbessert werden müssen – läuft dieser Artikel auf das einfache Schema hinaus: Die Frauen können die noch immer bestehenden beruflichen Nachteile (Aktuell dazu z.B die Zeit „Wenn das erste Kind da ist, kippt das System zurück in die traditionellen Strukturen“), die mit dem Kinderbekommen einher gehen, selber lösen, und das auch noch ganz einfach: Indem sie Kinder möglichst früh am Besten bereits im Studium bekommen. Das ist so, als ob wir Ausländern sagen, sie sollen unsere gesellschaftlichen Rassismus-Probleme doch einfach selber lösen. Liebe Frau Voigt, das konnten Sie definitiv schon besser! (z.B. die Machtfrage aus 2011 à http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76659498.html)
Deshalb ein paar praktische Rückfragen: Glauben Sie wirklich, dass im aktuellen Bachelor-/Master-System die nötige Flexibilität herrscht, so einfach nebenbei noch ein Kind großzuziehen? Was wird dann mit den Anforderungen an die Studierenden mind. einmal die Uni gewechselt zu haben, mind. ein Semester im Ausland zu sein und für einen erfolgreichen Berufseinstieg auch mehrere Praktika absolviert zu haben? Ist Betreuung in KiTas wirklich einfacher, wenn Plätze schlicht fehlen? Was, wenn die so in die Mitverantwortung genommen Großeltern selber noch Vollzeit arbeiten oder schlicht wo ganz anders leben als die Frauen studieren? Und es ist beileibe keine Nebenfrage, wer das in Zeiten von Studiengebühren und ohne eigene Einkommen finanziert, zumal das frühere Erziehungsgeld, dass zwei Jahre gezahlt wurde, mit Überführung in das Elterngeld auf ein Jahr gekürzt wurde!
Aber das vielleicht Entscheidende? Wenn es Frauen (angeblich) schon mit Anfang oder Mitte 30 schwer fällt, Männer zu finden, die bereit zur Familiengründung sind, wo sollen die bitte mit Anfang 20 herkommen? Überhaupt, wo sind die Männer in dem ganzen Artikel (davon abgesehen, dass sie Angst vor kinderhabenwollenden Frauen haben…)
Ah, ich habe ein Argument gegen das Kind im Studium vergessen, das die Autorin selber nennt, den Spaß- und Freiheitsverzicht, der mit Kindern einhergeht… Das mögen ja einzelne so sehen (übrigens in jedem Alter), aber ist doch wohl eher nicht Kern des Problems, sondern angesichts des genannten eine die Tatsachen verkennende Unterstellung an eine ganze Generation!
Umgekehrt: Ja , ich bin dafür, dass wir uns Emanzipation so weit weiterdenken, dass Kinder zu jedem Zeitpunkt im Lebenslauf kein Hindernis für ein erfolgreiches Berufsleben sein dürfen, auch im Studium! Und ich bin eine große Freundin der Idee, dass Frauen und Männer, die Kinder haben möchten, das nicht unbedingt von der großen Liebe und Gewissheit des Partners für ewig abhängig machen müssen. Aber dafür braucht es andere Rahmenbedingungen statt des klugen Tipps an die Frauen, dass sie ihre Misere doch ach so einfach selber lösen können. (Die zitierte Eva Illouz bietet dazu übrigens sehr kluge soziologische Analysen!)
Lasst uns doch mal mit Folgendem anfangen:
- Kinder sind keine reine Privatsache, sondern gemeinschaftliche, gesellschaftliche Aufgabe, das betrifft Kinderbetreuung, Finanzierung und vor allem öffentliche Debatte und Unterstützung in Medien, Betrieben und hoffentlich auch an Stammtischen!
- Kindergroßzuziehen ist gemeinsame, gleichberechtigt geteilte Verantwortung und Aufgabe von Frauen und Männern. Damit ist die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso ein Männer- wie ein Frauenproblem. Wenn dieses geteilt würde, würden zugleich viele Diskriminierungen in der Berufswelt aussterben – denn dann wäre die „Gefahr“ für den Arbeitgeber genauso hoch, dass Männer wegen Elternzeit ausfallen, Teilzeit einfordern, pünktlichen Feierabend brauchen, um Kinder von der KiTa abzuholen, spontan wegen Windpocken ausfallen können etc. Und weil das von selbst so schwierig oder langsam geht, lasst uns weiter über die Quote als zwar nicht immer faire, aber funktionierende Abkürzung zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt streiten!
- Wenn wir Kinder zu bekommen nicht mehr von der festen, ewigen Partnerschaft abhängig machen wollen, brauchen wir eine neue Debatte zu Fragen von Beziehungsgeflechten und ihrer Relevanz z.B. für die Wahl von Lebens- und Arbeitsort. Denn wenn Eltern keine feste Einheit mehr bilden müssen, sondern sich trennen dürfen oder ich Kinder nicht mit meinem Ehemann, sondern einem sehr guten Freund bekommen und gemeinsam großziehen möchten, brauchen wir neue Vereinbarungen und Möglichkeiten, wie das in einer Zeit geht, in der die Arbeitswelt und ggf. auch unsere Vorstellungen von Selbstverwirklichung von uns absolute ggf. sogar weltweite Mobilität von beiden Elternteilen erwarten.
Ja, Frauen können alles haben – Männer übrigens auch und besonders leicht dürfte das bei gemeinsamen Engagement statt bestimmt gut gemeinter, aber leider schlechter, weil Verantwortung abschiebender Ratschläge an die Frauen gehen. Die Verantwortung für eine familienfreundliche, gerechtere Gesellschaft liegt bei uns allen!

Gerade ist die Empörung wieder verebbt, ob Social Media-Aktivitäten zur Kreditwürdigkeit ausgewertet werden können und nach öffentlichem Aufschrei besteht Hoffnung, dass die Meldeämter unsere Daten doch nicht an die Werbeindustrie verkaufen dürfen. Andere noch viel beunruhigendere Projekte wie das europäische Projekt 

