Es kostet mich Überwindung. Ich gönne mir einen Spaziergang durch die Stadt bis zur Straßenbahn, fahre dann bis zur Endhaltestelle und habe einen kurzen weiteren Spaziergang bis ich vor dem Gelände von Yad Vashem stehe.

Wer hier schon einmal war, dem brauche ich wohl nichts zu beschreiben; davon wie schon wenige Minuten reichen, um mein wohliges Urlaubsgefühl zu verscheuchen und dem Grauen Platz zu machen und immer wieder mit Tränen kämpfen zu müssen. Durch einen sich erst verjüngenden, dann wieder öffnenden Gang aus schlichtem Beton laufe ich in Schlangenlinien durch Ausstellungen und Bilder, Exponate und Installationen, lausche den Erzählungen Überlebender. Grafiken und Zahlen, die unfassbar bleiben, umso mehr, wenn immer wieder die Geschichten einzelner Menschen und Familien fassbar werden, um dann von der Statistik vermillionenfacht zu werden.

Dazwischen die Geschichten von Widerstand und Mut und Mitgefühl; den zahlreichen Versuchen, nicht alles mit sich, nicht alles mit den Nachbarn zuzulassen. Aufstände in den Ghettos, Fluchtversuche. Nationen wie Dänemark, die sich jeder Deportation verweigern, einzelne Menschen, die unter Einsatz und manchmal auch Verlust des eigenen Lebens Bekannte, Freunde und ihnen Fremde schützen und die die bohrende Frage aufwerfen, wieso sie in der Minderheit blieben und noch schlimmer, wie es so vielen Menschen gelingen konnte, Augen, Ohren und Herzen zu verschließen, wegzuschauen, mitzulaufen, mitzumachen… Die Gerechten unter den Völkern können die Katastrophe der Shoa nicht verhindern, doch für Einzelne werden sie zur Rettung, ermöglichten Weiterleben und manchmal Neuanfänge. Sie zeigen, dass der Einsatz für Menschlichkeit und Recht niemals zwecklos und niemals unmöglich ist.

Der Gang weitet sich, am Ende stehe ich mit dem schönsten Blick in Sonne und Weite Israels – den Fotoapparat kann ich mich nicht überwinden, schon wieder auszupacken. Ich schlendere durch die Kunstgallerie, das Außengelände, die Halle der Erinnerung, den Garten der Gerechten, das Denkmal für die Kinder.

Das Gelände schließt, fast vier Stunden sind vergangen, ohne dass ich es gemerkt habe. Sonne und Wind wärmen mich auf dem Weg zurück zur Straßenbahn in das lebendige Jerusalem.

Was bleibt ist Dankbarkeit und Bewunderung auch in den nächsten Tagen – dafür als Deutsche in diesem Land zu Gast zu sein und überall so große Freundlichkeit zu erfahren – selbstverständlich finde ich das nicht.